1. Das Kind sollte nicht mehr als 6 Monate vom üblichen Einschulungstermin entfernt sein. Schulsysteme, die restriktive Einschulungspraktiken verfolgen und/oder einen Mindestintelligenzquotienten bei früher Einschulung verlangen, könnten eine 6-monatige frühe Einschulungspraxis mit einem unterschiedlichen IQ in Betracht ziehen. D.h. je jünger ein Kind in Bezug auf das übliche Einschulungsalter ist, um so höher sollte seine Begabung sein. Zum Beispiel könnte bei einem Kind, das drei Monate jünger als üblich ist, einen IQ von 125 haben müssen und ein Kind, das sechs Monate jünger ist, einen IQ von 130 und höher. [1]

2. Es sollte eine umfassende psychologische Untersuchung stattfinden, in der die intellektuellen Fähigkeiten, die Leistungsbereitschaft und die sozial-emotionale Reife des Kindes festgestellt werden.


3. Leistungsmäßig sollte das Kind auf einer Entwicklungsstufe sein, die höher ist als der Durchschnitt der ersten Klasse.


4. Beim Eintritt in die erste Klasse sollte das Kind Leistungen zeigen, die bei der Lesefertigkeit und dem mathematischen Verständnis um oder über den durchschnittlichen Leistungen Ende des ersten Halbjahres dieser Klasse liegen.


5. Sozial und emotional sollte das Kind keine ernsthaften Anpassungsprobleme haben und zeigen, dass es selber lernen will. Sichere Kandidaten für eine frühe Einschulung sollten diejenigen sein, die sich leicht in Gruppen einfügen oder Freunde in der Klasse haben, in die sie möchten.


6. Auch die Gesundheit und die Motorik sollten in Betracht gezogen werden. Das Kind sollte gesund sein. Es sollte über hinreichende fein- und grobmotorische Fähigkeiten verfügen, um bei den Aktivitäten in der Klasse und auf dem Schulhof mithalten zu können.


7. Der Psychologe sollte sich davon überzeugen, dass das Kind
nicht von den Eltern unter Leistungsdruck gesetzt wird. Die Eltern müssen der frühen Einschulung positiv gegenüberstehen, aber das Kind muss selber in die Schule gehen wollen.

8. Die aufnehmende Lehrerin muss der frühen Einschulung positiv gegenüber stehen und bereit sein, dem Kind bei der Eingewöhnung zu helfen. Ist die aufnehmende Lehrerin negativ oder pessimistisch eingestellt, sollte eine andere aufnehmende Klasse gesucht oder die frühe Einschulung verschoben werden. In letzterem Fall sollten die Eltern überlegen, ob sie einen Tutor für das Kind suchen.


9. Eine frühe Einschulung sollte immer probeweise stattfinden. Eine Probezeit von sechs Wochen sollte ausreichen. Die Lehrerin sollte die emotionale und intellektuelle Entwicklung des Kindes beobachten und die Eltern und den Schulleiter regelmäßig informieren. Für das Kind und die Lehrerin sollte ein Beratungsangebot zur Verfügung stehen.


10. Lehrerinnen sind oft ziemlich pessimistisch in Bezug auf die emotional-soziale Reife früh eingeschulter Kinder und sorgen sich wegen ihrer Anpassung. Die Forschung zeigt, dass tatsächlich nur wenige früh eingeschulte Kinder emotional-soziale Probleme haben. Außerdem wurde festgestellt, dass diese Probleme nach ein bis zwei Jahren verschwanden. Trotzdem sollte eine Beurteilung der emotional-soziale Reife auch die Beobachtungen der Eltern, eines Psychologen oder anderer erfahrener Experten einbeziehen. Sobald das Kind in der Schule ist, sollten Entscheidungen, die wegen emotional-sozialer Probleme getroffen werden, sowohl die Beobachtungen der Eltern, eines Psychologen als auch der Lehrerin berücksichtigen.


11. Es sollte sorgfältig darauf geachtet werden, dass das früh eingeschulte Kind nicht übertriebenen Erwartungen ausgesetzt wird. Eltern sollten eine realistische Einschätzung in Bezug auf die Möglichkeiten der Schule haben, die individuellen Bedürfnisse ihres Kindes zu berücksichtigen. Außerdem sollte dem Kind nicht vermittelt werden, es habe versagt, wenn es nicht gut geht.


12. Die Entscheidung über die frühe Einschulung sollte auf Fakten und nicht auf Mythen beruhen. Die Forschungsliteratur zeigt, dass der größte Teil der Kinder, die früh eingeschult wurden, leistungsmäßig nicht nur genauso gut waren wie ihre MitschülerInnen, sondern sie häufig überragten. Es wurden keine generellen negativen Langzeiteffekte in bezug auf die soziale und emotionale Entwicklung gefunden. Falls es Anpassungsprobleme gab, waren sie in der Regel gering und kurzfristig. Im Gegenteil, es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die genauso fähig waren, aber erst ein Jahr später eingeschult wurden, mehr Probleme im Verhalten zeigten, sich in der Schule weniger wohl fühlten und eine negativere Haltung gegenüber der Schule hatten als früh eingeschulte Kinder


Feldhusen, John F. (1992). Early admission and grade advancement for young gifted learners, in. Gifted Child Today, March/April, S. 45-49


Auf Deutsch erschienen in:

Heinbokel, Annette (2003). Frühe Einschulung. In: Krüger, Christiana (Hrsg.) Kleine Menschen – ganz groß – schon vor der Schule, Monsenstein & Vannerdat, Münster, überarbeitet; zuerst erschienen 1996 im Labyrinth, S. 211-242

[1] Diese Richtlinien wurden für amerikanische Verhältnisse entwickelt. Im ursprünglichen Text beziehen sie sich auch auf den Eintritt in den Kindergarten, der in den USA als Beginn der 'formalen Erziehung' gesehen wird. Die Richtlinien sind bedenkenswert, aber nicht unbedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbar.